Apostelgeschichte 10, 28Juni 2025
Mitte der 1990er Jahre hat der Kabarettist Dirk Bielefeldt in seiner
Rolle des Polizisten Herr Holm in seinem Programm „… dienstlich“
dem Publikum die Schwierigkeiten der Polizeiarbeit folgendermaßen
dargestellt:
„… Die Routine ist die Gefahr. Wissen Sie warum?... Weil kein Tag
wie der andere ist! … Die Macht der Gewohnheit - und da lauert
die Gefahr! 99-mal gehen Sie an einem ihnen vertrauten Chaoten
vorbei - 99-mal und plötzlich beim 100. Mal sagt der „Guten Morgen“.
Da geht was kaputt in Ihnen. Da sind Sie zutiefst destabilisiert.
Oder die Oma! Die Oma macht einen auf blind auf dem Zebrastreifen
- und plötzlich zieht sie das Messer aus dem Krückstock!
So sieht doch der Alltag aus …“.
So sieht also der (vermeintliche) Alltag eines Polizisten aus.
In der Routine des Dienstes werden die Mitmenschen in bestimmte
Schubladen gesteckt und werden „zur Gefahr“, wenn sie sich nicht
entsprechend der Erwartung verhalten.
Menschen vorschnell zu beurteilen ist aber nicht nur eine Spezialität
von Polizisten (zumindest, wie sie sich der Kabarettist Dirk
Bielefeldt vorstellt), sondern auch mir nicht fremd.
Als ich noch in der Suchtberatung gearbeitet habe, habe ich oft
versucht schon beim Erstgespräch einzuschätzen, ob ich den Klienten
wohl helfen werden kann. Wenn jemand schon sehr von seiner
Sucht gezeichnet war und nicht mehr so viel Wert auf saubere Kleidung
gelegt hat, war meine Prognose eher negativ.
Wenn jemand noch ein gepflegtes Äußeres aufrecht erhalten konnte
und sich darüber hinaus auch noch eloquent ausgedrückt hat,
war ich dann meistens optimistischer.
Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man überhaupt nicht
aufgrund von Äußerlichkeiten beurteilen kann, wer von einer Sucht
loskommen wird und wer nicht.
Und genauso können wir wirklich nicht sehr gut einschätzen, wer
fürs Evangelium empfänglich ist und wer nicht. Ob jemand herunter
gekommen aussieht oder einen teuren, maßgeschneiderten Anzug
trägt, ist Gott erst einmal egal – „denn es ist kein Ansehen der Person
vor Gott“ (Römer 2, 11). Und deshalb sollte uns das auch egal
sein.
Paulus schreibt in 1. Korinther 9, 22: „Ich bin allen alles geworden,
damit ich auf alle Weise etliche rette“. Er hat versucht, sich ohne
Vorurteile auf die Menschen einzulassen, um sie mit dem Evangelium
bekannt zu machen. Da kann er uns ein Vorbild sein.
Jörg Fricke